Palitzsch

See you, see me.

Die kostbarste Braut von Bietigheim

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Von oben links: Die Eltern von Antonia Visconti, Bernabò und Beatrice Regina della Scala, das Schloss in Bietigheim, eine Stadtansicht aus dem Forstlagerbuch von Andreas Kieser 1684 sowie ein Brief Antonias an ihren Vater. „Das Leben ist ein Schatten“.

Sie ist in Bietigheim zwar hundertfach gegenwärtig und doch gibt es kein Bildnis von ihr. Sie brachte der Stadt ihren Markt, der heute noch wöchentlich abgehalten wird, bildarch~dc5-5cu57xujd2ohy0071g4und sie war Mitstifterin der imposanten Stadtkirche am Marktplatz. Dieses Bauwerk erinnert als monumentales Denkmal an die einstige Stadtherrin. Der Mythos um Antonia Visconti, gestorben ist sie im Jahre 1405, wird in  Bietigheim  gepflegt. Die „Villa Visconti“ trägt den Ruf der Gräfin aus Mailand in die Zukunft. Noch heute beruft man sich in Bietigheim auf ein italienische Flair, das zur Sommerzeit mit vielen Pflanzen und Blumen in der ganzen Stadt gezeigt wird.

Im Chor der dominanten Stadtkirche von Bietigheim ist Antonia Visconti als Konsolbüste dargestellt. Das Bildnis entstand um das Jahr 1400, ob nach dem Tode zur Erinnerung Antonias oder schon zu Lebzeiten als Bauschmuck angebracht, ist nicht bekannt. Nur wenige Meter von der Kirche entfernt steht die 2002 fertiggestellte „Villa Visconti“ am Hillerplatz, die wegen ihres ungewöhnlichen Baustils, aber vor allem wegen der Ornamentierung der Häuserfront bis zum heutigen Tag am Ende der Fußgängerzone für Aufsehen sorgt. Antonia Visconti ist in diesem Haus allgegenwärtig. Ihr, von dem Bildhauer Jürgen Goertz interpretiertes Bildnis findet sich auf den Tischen und als kleinere Prägemünze aus Messing, integriert in den Möbelelementen und Türgriffen.

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Die Bietigheimer Stadtkirche. Antonia Visconti war Mitstifterin. Foto: Jörg Palitzsch

Im südlichen Mailand und Verona aufgewachsen, ist Antonia Visconti die symbolisch kulturelle Gallions- und Hauptfigur an diesem „Haus der Köpfe“ wo sich neben Marlene Dietrich, Ferdinand Porsche und Christoph Columbus auch Bietigheimer wie der Japanarzt Erwin von Baelz und der Schriftsteller Otto Rombach abgebildet sind. All diese, in ein vorgegebenes Rastersystem untergebrachten Porträts, ordnen sich Antonia Visconti unter, die auf der Höhe ihrer Zeit in Bietigheim und weit ins Land hinein äußerst anregend wirkte.

Antonia war eine Tochter von Bernabó Visconti, dessen Angetraute, die kunstbeflissene Beatrice Regina della Scala, ihm mindestens 15 Kinder schenkte, von denen gleich mehrere Ehen mit dem deutschen Hochadel eingingen. So war auch Antonia nicht anderes als ein Spielstein der Heiratspolitik Bernabós. Gerade 14 Jahre alt, wurde ihre Hochzeit mit König Friedrich III. von Sizilien aus dem Hause Aragon, „dem Einfältigen“, in die Wege geleitet. 1374 entging Friedrich einem Attentat in der Kirche von Messina, durch seinen Tod drei Jahre später wurden die Verhandlungen über eine Ehe mit Antonia gegenstandslos – welch ein Glück für Württemberg.

Treibende Kraft einer erneuten Verheiratung Antonias war ihre Mutter. Sie führte die ersten Verhandlungen mit dem Gesandten Peter von Torberg über eine Heirat ihrer Tochter mit Eberhard III., „der Milde“, Graf von Württemberg. Der adlige Ritter Torberg war allerdings kein Funktionsträger der württembergischen Grafen, sondern handelte im Wissen und Auftrag des Herzogs von Österreich, Leopold III., der auf Bitten der Württemberger die Eheanbahnung übernommen hatte.

Torbergs Gespräche in Mailand waren von kurzer Dauer und von Erfolg gekrönt. So brachte der Ritter aus dem sonnigen Mailand das Versprechen der Familie Visconti für Eberhards Vater, Graf Ulrich, mit, bei einer Vermählung Antonias 70.000 Gulden Mitgift zu bezahlen. Wobei der Brautschatz, also Gewänder und Schmuckstücke, in diese Summe mit eingerechnet waren. Zur damaligen Zeit ein gewaltiges Vermögen, lag doch der Verdienst eines deutschen Handwerkers bei rund 50 Gulden im Jahr.

Die Hochzeit mit Eberhard III. spülte also nicht nur frisches Geld in die Kasse der Württemberger, ebenso konnten die verwandtschaftlichen Beziehungen gefestigt werden. In erster Linie zu den Habsburgern und Wittelsbachern, die über die Schwestern Antonias mit dem Hause Württemberg mehrfach verschwägert waren.

Und es gab noch weitere Vorteile auf beiden Seiten: Für die Viscontis waren die Verbindung mit den deutschen Adelshäusern mit sozialem Prestige und politischem Einfluss verbunden. Bei den Württembergern stand die reiche Mitgift im Mittelpunkt, da dieses Geld neue finanzielle Spielräume eröffnete.

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So anmutig mag Antonia Visconti ausgesehen haben. Dame mit Krone auf einer lombardischen Miniatur um das Jahr 1380.

Antonia erhielt die übliche und rechtlich ausgehandelte „Widerlegung“, also die zur Verfügungstellung von Territorium. Dieser wirtschaftliche Gegenzug sicherte der Mailänderin zunächst Einnahmen aus dem württembergischen Besitz um Marbach, Güglingen und Brackenheim in Form von Geld-, Getreide- und Weinabgaben zu. Ihr war dies aber offensichtlich zu wenig und aufgrund von Nachverhandlungen sowie einiger Proteste kamen kurz nach der Hochzeit noch Einkünfte, Erträge und Nutzen aus Bietigheim hinzu. Diese Einkünfte sollten künftig jährlich an Antonias Begleiter, ihren Schreiber Johannes Falconus sowie Paganinus de Blassono, übergeben werden. Dokumentiert wurde dieser Nachtrag zum Aussteuerverzeichnis am 2. November 1380, unter anderem in der Gegenwart zweier Räte der Grafen von Württemberg – Ritter Herdegen von Hürnheim und Graf Rudolf von Sulz.

Antonia Viscontis Heirat mit Eberhard III. fand mit allem Prunk Ende Oktober 1380 im Uracher Wasserschloss statt. Einen Monat zuvor hatte sich die junge Dame mit ihrem Schreiber Falconus von Mailand aus auf den Weg gemacht, begleitet von ihrer Familie bis an die Grenzen den Territoriums. Wohl auf direktem Wege ging es mit zahlreichen Wagen am Comer See vorbei nach Chur und über einen der Alpenpässe in Richtung Bodensee. Eine weitere Station des Hochzeitsweges war Ulm, bis die Hochzeitsgesellschaft schließlich in Urach eintraf.

Für die nicht einmal 20-jährige Antonia Visconti war die Reise und ihre Vermählung mit Graf Eberhard III. nicht nur ein Abschied von der Familie, die sich als ein sozial klar umrissener Verband zeigte.

Die kostbare Braut musste auch Abschied von höfischer Kultur und Atmosphäre nehmen, wie sie auf den Fresken im Mailänder Palazzo Borromeo zu sehen sind. In den weitläufigen Gärten vertrieb man sich die Zeit mit Tanz, Federball und Tarot-Karten. Die Frauen spielten Schach, die Herrscher sprachen über die Jagd und schmucke Kavaliere machten den jungen Damen ihre Aufwartung.

So war Antonias Aussteuer üppig bestückt, die vielleicht auch dazu diente, Mailand und die Familie beim Schritt in eine völlig andere Umgebung nicht ganz zu vergessen.

Neben kostbaren Ringen, Perlen, edlem Geschirr, Leuchter und Kelche aus Gold und Silber besaß sie reich verzierte Kleider, zierliche italienische Schuhe und erlesene Stoffe. Dazu brachte sie eine ganze Bibliothek und Musikinstrumente mit. All dies listete Schreiber Falconus im „Liber iocalium“, dem 94 Blätter dicken „Buch der Kostbarkeiten“ auf.

In Italien hatte man Antonia über Württemberg von einem kalten und dunklen Land berichtet, in dem die Menschen gerne sauren Wein tranken. Ihr wurde von leibhaftigen Nachfahren der Barbaren erzählt, denen Kriege wichtiger waren als die Muse. Und der italienische Dichter und Geschichtsschreiber Francesco Petrarca (1304 – 1374) schrieb über die Sprache nördlich der Alpen von einem „fremdartigen Murmeln“.

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Büste Antonia Viscontis in der Stadtkirche von Bietigheim. Foto: Martin Kalb

Für Antonia Visconti war dies eine Chance, ihre in Mailand gelernten feinen Sitten und hohen kulturellen Ansprüche in Württemberg fortzuführen. Sie errichtete an der Stelle des heutigen Stuttgarter Karlsplatzes einen Lustgarten mit großen sowie seltenen Pflanzen, Bäumen und Blumen. Der Garten wurde eine der bedeutendsten Anlagen seiner Zeit. Damit setzte Antonia Visconti ganz eigene Akzente, wobei in den blühenden Ziergärten, im Gegensatz zu den reinen Nutzgärten der Burgen und Klöster, auch gärtnerische Elemente ihres südlichen Heimatlandes einen Niederschlag fanden. So nutzte sie die herrschaftlichen Privilegien und mit der künstlerischen Gestaltung ihrer Umgebung festigte Antonia ihren Ruf als Gräfin.

Sie musste sich dabei in das Familiengefüge des württembergischen Grafenhauses einordnen, und sie tat es bereitwillig, ohne die in sie gesetzten Erwartungen zu enttäuschen. Es galt: Auch als Herrscherin hatte sich Antonia Visconti nach den Sitten des Landes zu richten.

Aus der Ehe mit Graf Eberhard III. gingen mehrere Kinder hervor, darunter die Söhne Ulrich und Ludwig, von denen jedoch nur der spätere Graf Eberhard IV., geboren am 23. August 1388, überlebte. Durch dessen Ehe mit Henriette von Montbéliard wurde die Grafschaft Mömpelgard württembergisch, von da an gab es einen Landesteil, in dem französisch sprechende Untertanen lebten.

Ihr Einfluss auf Bietigheim ist nicht gering zu schätzen, wobei es schwierig ist, ihn realistisch zu beurteilen. Im Gemeinderat wurde sie schon verklärt, die kunstsinnige und schöne Mailänderin als verbriefte Stadtgründerin wäre dabei der höchstmögliche historische Glücksfall gewesen.

Wie leicht wäre eine Berufung auf Antonia Visconti? Aber sie entzieht sich. Und hat doch Spuren hinterlassen.

Wie leicht hätten sich bis in die heutige Zeit hinein architektonische Verspieltheiten, großflächige Neubepflanzungen in der Stadt, üppige Blumenarrangements am Marktplatz und vor dem historischen Rathaus, kulturelle Veranstaltungen und gesellschaftliche Ereignisse mit ihrem wohlklingenden Namen sowie dem „südlichen Flair an Enz und Metter“ verknüpfen lassen.

Dabei lässt sich Antonias Wirken auf die 1364 gegründete aber noch lange nicht entwickelte Stadt exakt an drei Aktivitäten ablesen, mit denen ihr Namen bis heute mit Bietigheim verknüpft ist.

Nach Absprache mit ihren örtlichen Amtsleuten vermachte sie 1390 als Erblehen die Untere Bachmühle in Bietigheim an den Bietigheimer Konrad Lutzlin. Erblehen sind ein erbliches Bewirtschaftungs- und Nutzungsrecht gegen jährliche Abgaben. So wurde die Menge der jährlich zu zahlenden Getreideabgaben und der Ort der Übergabe urkundlich festgelegt und besiegelt.

Das Jahr 1393 brachte Bietigheim zum 1. Januar die Rechte zur Einrichtung eines Wochenmarktes. und kurz darauf im Frühjahr einen Angriff der Gmünder, die sich an der Stadt schadlos halten wollten. Das Marktrecht hatte die Stadt schon erhalten, nur setzte es sich nicht richtig durch.

Zum einen war da die Nähe zu anderen Städten, deren Märkte eine Konkurrenz für Bietigheim waren, zum anderen gab es nicht genügend Gewerbetreibende, um einen entsprechend schwunghaften Handel zu bewerkstelligen. Hinzu kam: ein Markt in einer städtischen Siedlung funktionierte nur, wenn sich auch genügend Handwerker ansiedelten, die ihre Erzeugnisse Interessenten von auswärts anbieten konnten.

Die an den Kaiser gerichtete Bitte Antonia Viscontis zur Gewährung eines großen Wochenmarktes diente also dazu, das Geld in der Stadt zu halten und zu mehren, wobei die Stadtherrin wohl nicht nur allein an das Gemeinwohl der Bürger in „ihrer“ Stadt gedacht haben wird.


Die Gräfin aus Oberitalien tritt dann um das Jahr 1400 erneut in das historische Licht der Bietigheimer Stadtgeschichte, neben ihrem Mann war Antonia an der Stiftung der Stadtkirche beteiligt. Die Herrschenden waren wie die Bürger durch Missernten, Seuchen und Hungersnöte verunsichert und ließ sie nach Heilssicherung streben, die zu einer Vertiefung und Verinnerlichung des religiösen Lebens führte.

Dies äußerte sich unter anderem in religiösen Stiftungen, wie sie mit der Stiftung der Bietigheimer Stadtkirche durch Antonia Visconti erfolgte. Hinzu kam bei ihr auch an dieser Stelle der Wille zur Weiterentwicklung und Förderung der Stadt.

Den Gläubigen in Bietigheim kam der Kirchenbau entgegen, stand die eigentliche Pfarrkirche doch etwas außerhalb auf einem Bergrücken. Die neue Kirche wurde quer auf dem Hang auf dem Boden einer gegen des 13. Jahrhunderts zerstörten Ganerbenburg errichtet, von der nur noch die Kapelle stand. Gemutmaßt wird zudem, dass die beiden ältesten Orgeln in Württemberg auf Betreiben von Antonia Visconti in der Stuttgarter Stiftskirche und eben in der Stadtkirche von Bietigheim aufgestellt wurden.

So rundet sich das Bild einer Frau, die selbstbewusst ihren Wirkungskreis dazu nutze, Einflussnahme auszuüben, ohne das eigene und das Heil der Familie aus den Augen zu verlieren.

Das Bietigheimer Gotteshaus wurde 1411 fertiggestellt. Antonia Visconti erlebte dies nicht mehr, sie starb 1405 und wurde im Chor der Stuttgarter Stiftskirche begraben. Der Tod war ihr immer gegenwärtig.

In ihrem einzigsten erhaltenen Brief schrieb sie anlässlich des Todes ihres Bruders Marco an ihren Vater im Jahre 1382: „Das Leben ist ein Schatten“.

Graf Eberhard III. ließ exakt ein Jahr und einen Tag verstreichen, um am 27. März 1406 eine Urkunde für eine Ehe mit der 30 Jahre jüngeren Elisabeth von Hohenzollern auszufertigen.

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Das Siegel von Antonia Visconti.

Noch am selben Tag wurde durch einen Ringtausch die Ehe zwar rechtskräftig. In seinem Schatzinventar fehlten nach seinem Tode 1417 jegliche Hinweise auf die von Antonia Visconti mitgebrachten Silbergeschirre und andere Pretiosen. Sie waren ungeachtet ihres Wertes eingeschmolzen und zu Münzen geprägt worden.

Eine deutliche Spur Antonia Viscontis findet sich dagegen bei ihrer Enkelin Anna von Württemberg. Im Verzeichnis für ihre Aussteuer sind mit den Wappen Viscontis und Württembergs geschmückte Stuhlbehänge und ein Teppich verzeichnet, die sich im Besitz ihrer Großmutter befanden.

Damit leuchtete die Pracht der großen Mailänderin doch noch bis heute.

Ein Kommentar zu “Die kostbarste Braut von Bietigheim

  1. Stefan Rank
    5. März 2015

    danke für diese tolle geschichte. war/ist sehr interessant.
    was mich noch interessiert ist die große schlacht die es vor bietigheims toren gegeben haben soll.

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 5. März 2015 von in Hirnfutter und getaggt mit , , .

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