Um ihre Passion für den Blues zu vertiefen, verlegte die in Belgien geborene Gitarristin und Songwriterin Ghalia Volt ihren Lebensmittelpunkt von Europa in den Süden Amerikas. Mit ihrem Solo-Album „One Woman Band“ trotzt sie der Pandemie.
Wenn Ghalia Volt in ihrem Garten vor einem Mikrophon sitzt, bekommen die Nachbarn leidenschaftliche Live-Musik gratis frei Haus. Vor sich schlägt die in Belgien geborene Musikerin auf Kick-Drums den Takt, spielt Blues und Rock’n’Roll auf einer Gitarre, an der Seite steht ein Verstärker, ein Ventilator sowie eine Statue der Mutter Gottes – flankiert von grünen Sträuchern und einigen Blumen.
Diese Solo-Szenerie im Garten ist auch auf andere Umgebungen übertragbar. Mal sitzt Miss Volt auf der Veranda in einem hölzernen Schaukelstuhl, spielt fast schon tiefenentspannt „See See Rider“, oder trifft sich mit Lucious Spiller an der Straßenecke zu einer Session, die anschließend im Netz übertragen wird. Der Bluesgitarrist ist einer ihrer Lieblingssänger, Gitarristen und Performer. Zu Spiller passt dann auch ihr eigener, handgemachter Blues sehr gut. Er ist unaufgeregt, ihm wohnt etwas Altmodisches inne, etwas Vertrautes, viel Wärme und Melancholie, die durch ihre wehmütige Stimme noch verstärkt wird.
In einem kleinen, wackelig aufgenommenem Zwei-Minuten-Handyvideo sieht man Ghalia Volt, die vor ihrem Karrierestart noch den Nachnamen Vauthier trug, wo sie ihre ersten musikalischen Erfahrungen sammelte – als Straßenmusikerin, vor sich ein aufgeklappter Gitarrenkoffer. Auf dem Pflaster singt sie den von unzähligen Künstlern immer wieder interpretierten Blues-Hit „I’d Rather Go Blind“, den Etta James schon 1968 über den Trennungsschmerz geschrieben hat. Volt gibt diesem Klassiker emotionale Tiefe, wohlwissend, dass Lieder nicht alles heilen, aber ein wenig lindern können.
Wer sich dieser ungewöhnlichen Musikerin nähern und sie verstehen will, muss ein kleines Stück in die Vergangenheit gehen. Das Album „Let The Demons Out“, 2017 bei ihrem Label Ruf Records erschienen, dient wie eine Schablone für den Weg der Künstlerin. Das Album wurde mit der renommierten, 1994 in Long Beach gegründeten Bluesband Band Johnny Mastro & The Mama’s Boys aufgenommen, und war im Grunde ein weiterer Entwicklungsschritt. Zuvor hatte sich Ghalia Volt, noch in Brüssel beheimatet, mit der dynamischen R&B-Band Ghalia & The Naphtalines einen Namen in der Szene gemacht und mit „Voodoo Casino“ ihr Debüt vorgelegt.
2016 dann der Schritt in die Staaten, dorthin, wo der Blues zuhause ist – Chicago, St. Louis, Memphis, Nashville und im tieferen Süden Mississippi und New Orleans. Der gesamte Süden der USA, von Chicago bis New Orleans und noch weiter südlich bis Austin, TX, hat die besten Musikstädte, so die Musiker und Songwriterin gegenüber bluesnews. „Man lernt sehr viel wenn man reist und Musiker trifft.“ In New Orleans könne man 20.000 Musiker zählen. Das Niveau der Konkurrenz sei hoch, „und das macht dich zu einem besseren Musiker und Profi.“ Und: „Man muss sich anstrengen, man muss gut sein“, ergänzt Volt. Die meisten lokalen Gigs dauern vier Stunden. Manchmal spielte sie fünf bis sechs Mal die Woche. Mississippi habe sie auch viel gelehrt, besonders auf der Gitarre.
So hätten ihr die letzten sieben Jahre ihrer Reisen mehr gezeigt, als die vorherigen elf Jahre des Spielens. Von einem Freund wie Sean Bad Apple oder sogar Jimmy Duck Holmes zu lernen, der wiederum von Jack Owens gelernt hat, der wiederum vom großen Skip James gelernt hat, sei für sie der Vibe, „so will und mag ich Musik lernen.“
Aber dann könnte ich weiter über Otis Rush, Freddy King, B.B. King, Muddy Waters, Buddy Guy und so viele mehr reden.
Ghalia Volt
Mit dem nächsten Album „Mississippi Blend“ aus dem Jahre 2019 hat sich Ghalia Volt einer weiteren musikalischen Selbstverortung unterzogen. Bei ihr wird die Vielfältigkeit des Blues deutlich, der jederzeit in besonderer Weise offen für Austausch, Übernahmen, Nachahmungen und Wiederholungen ist. Wo für Miss Volt die Grenze zwischen traditionellem und progressivem Blues verläuft lässt sie offen. Man könne sagen, dass alles schon ziemlich oft gemacht wurde. „Ich bin keine Puristin und ich versuche nicht, Blues, Rock oder sonst was zu spielen. Ich schreibe meine Songs einfach so, wie sie zu mir kommen, mit meinen eigenen Einflüssen und meinem eigenen Sound. Das Gefühl und der Sound ist das, was für mich am wichtigsten ist. Mir ist es egal, wie viele Noten man in einem Akkord spielt und welche Akkorde man spielt. Wenn es sich gut anfühlt, ist es das, wonach man sucht – etwas Organisches“, so die Musikerin. Für sie würde es viele Möglichkeiten geben, Songs zu schreiben: Texte, Melodien, Hooks und Lines. Authentisch zu sein sei für sie sehr wichtig. So sind Blues-Songs ihrer Auffassung nach schon immer Trostlieder gewesen und keine Klagelieder. „Man teilt seine Gefühle über das gemeinsame Erleben von etwas Gutem oder Schlechtem mit. Ich verstehe es einfach nicht, wenn Leute immer wieder über die gleichen Dinge schreiben. Wir wissen, dass dein Baby dich betrogen hat, und wir wissen, dass du deinen Whisky magst. Lasst uns über die wahren Dinge reden.“ Bei all dieser Freiheit beruft sich Ghalia Volt auf viele Musikerinnen, Musiker und Bands, die sie beeinflusst haben. Sie sei schon immer von den Damen fasziniert gewesen und zählt Big Mama Thorton, Koko Taylor, Big Maybelle, Ma Rainey, Sister Rosetta Tharpe, Wynona Carr, Ruth Brown, LaVern Baker, Etta James, Aretha Franklin und Mavis Staples auf. „Sie sind die gefühlvollen Pioniere des Blues, R’n’B und Rock’n’Roll. Dann schnapp dir ein paar Little Richard-Funken und Little Willie John-Gewürze und du hast dein Gebräu“, erklärt sie ihr Konzept gegenüber bluesnews. Den Blues habe sie mit Skip James und J.B. Lenoir entdeckt, als Teenager hörte sie Punk und Garage-Musik, MC5, Cramps und viele englische Bands wie etwa The Damned. Dann kam sie zum Psychobilly, der sie zur Rockabilly-Musik führte, um schließlich zu verstehen, dass der Rock’n’Roll aus Jump Blues, Boogie und Rhythm’n’Blues entstanden ist, die wiederum aus Blues, Gospel, Jazz, Ragtime, Spirituals und Country stammen. Als Gitarren-Mentoren nennt sie Fred McDowell, Son House, R.L Burnside und Junior Kimbrough. „Aber dann könnte ich weiter über Otis Rush, Freddy King, B.B. King, Muddy Waters, Buddy Guy und so viele mehr reden.“
Auf ihrem aktuellen Solo-Album „One Woman Band“, das erneut bei Ruf Records erschienen ist, bündelt sie nicht nur ihre ganzen Vorlieben, sondern es ist auch ein starkes Zeichen gegen die künstlerische Einsamkeit in der Pandemie. Wenn man sich die früheren Alben anhört, merkt man, wie sehr Ghalia Volt die Zusammenarbeit mit Freunden und Musikern in den letzten Jahren genossen hat. Als dann die Pandemie begann dachte sie, es gäbe keine andere Möglichkeit, in der Musikindustrie zu überleben. Doch es kam anders.
Der erste Schritt für das Solo-Abenteuer war, die textlichen Grundlagen zu schaffen. Im August 2020 verließ sie New Orleans, um eine Amtrak-Zugreise anzutreten. „Für jemanden, der es gewohnt ist, ständig zu reisen, fühlen sich fünf Monate zu Hause wie fünf Jahre an“, sagt die Musikerin. Also beschloss sie, die ältesten Straßen der USA zu bereisen. Sie durchquerte Louisiana, Texas, New Mexico, Arizona, Kalifornien, Nevada, Utah, Wyoming, Colorado, Kansas, Nebraska, Iowa, Illinois, Missouri, Tennessee, Kentucky, Arkansas und Mississippi – alles in nur einem Monat. Das Ziel der Reise war es, das gesamte Album während der Reise zu schreiben. Die meisten Songs sind dann auch von den Erlebnissen der Reise inspiriert und einige sind die Frucht ihrer Phantasie beim Anblick der Wüsten, des Ozeans, der Berge und der Lichter der Städte. Dazu gab es noch Songs in ihrem Notizbuch, und diese ganze Reise hat Ghalia Volt dazu gebracht, vergessene Zeilen und Melodien für ihre „One Woman Band“ wiederzufinden. Ein weiterer Schritt war für die Musikerin, ihr Equipment neu zu ordnen. Am rechten Fuß habe sie schon immer ein Fußtamburin benutzt, um ihre Solo-Gitarren- und Gesangsauftritten etwas Rhythmus zu verleihen, etwa in Clubs oder beim der Performance auf der Straße. „Man schlägt auf die 2 und die 4, wie wenn man in die Hände klatscht. Die Leute schienen es immer zu lieben“, so ihr Eindruck. Um den Rhythmus zu vervollständigen, benutzte sie eine Stompbox, um den Bass-Sound auf 1 und 3 zu schlagen, als Antwort auf das Tamburin. Also baute sie sich eine Stompbox mit einem normalen Tonabnehmer und einer Zigarrenkiste. „So hatte ich meine selbstgemachte Rhythmusgruppe.“ Im März 2020 hörte die Musikerin auch auf, kleine Zubehörteile zu benutzen, um ein richtiges Schlagzeug zu verwenden. Einschließlich Kick-Drum, Snare-Drum und Hi-Hat, kombiniert mit einem Tamburin, während sie gleichzeitig Gitarre spielte und sang.
Alles auf einmal zu spielen seine eine Menge Arbeit und erfordere Stunden um Stunden des Übens. Dabei überließ Miss Volt nichts dem Zufall. Alles müsse sitzen, also wurden die Arrangements für ihre Songs tage- und nächtelang geübt, bis alles zusammenkam, aber ein natürliches und rohes Gefühl beibehalten wurde. „Es gibt da kein Geheimnis“, erklärt Ghalia Volt, „und es ist wie alles andere im Leben. Man muss daran arbeiten.“
Wenn ich Mist baue, muss ich alles wieder von vorne anfangen.
Ghalia Volt
Für das Album „One Woman Band“ hat sie auf die Segnungen der Studiotechnik verzichtet. Etwa auf Overdubbing, eine Tonaufnahme, die später zu einer schon bestehenden Aufnahme hinzugemischt wird. Für Miss Volt ist dies weniger ein Risiko, vielmehr greift sie damit auf Konzepte der Vergangenheit zurück. „Früher gab es ein Mikrofon in der Mitte des Raumes und alle spielten gleichzeitig um dieses Mikro herum. Bei meinem neuen Album ist es ziemlich genau das gleiche Konzept. Alles wird in einem Raum und zur gleichen Zeit aufgenommen. Wenn ich Mist baue, muss ich alles wieder von vorne anfangen“, erzählt sie über ihre Aufnahmetechnik, was dem Sound eine ungeschliffene Note und viel Live-Feeling verleiht. Die einzigen Ausnahmen waren die Gastauftritte von Gitarrist Monster Mike Welch und Bassist Dean Zucchero, die eingeladen wurden, drei Tracks mit einzuspielen. Volt: „Und ich bin sehr froh, dass sie das getan haben. Sie bringen für diese Platte die Kirschen auf den Kuchen.“ Tatsächlich hat sie mit ihrem Solo-Album dem Corona-Vakuum etwas entgegengesetzt. Atmosphärisch in „Meet Me in My Dreams“, mit dem langsam anschleichenden „Loving Me Is A Full Time Job“, ein Blues, der sich tanzbar leicht und anschmiegbar entwickelt. Auch mit „Can’t Escape“, ein staubtrockener Rocker, bei dem Miss Volt alles auffährt, was ihr zur Verfügung steht, und vor allem mit „Last Minute Packer“, in dem sie charismatisch ihre Gesangsqualitäten mit einem 1950er Jahre Rockabilly-Touch auskostet. Der Blick der Künstlerin in die Zukunft ist ein unsicherer.
Dieses Jahr – und durch die Pandemie hindurch – will Ghalia Volt weiterhin als One Woman Band auftreten und ihre Gedanken über die Welt im Jahr 2021 teilen. Dies sei zwar ein echter Kampf es zu verwirklichen, aber man müsse sich immer wieder seinen eigenen Weg bauen. „Wenn es – hoffentlich – bald wieder besser wird, würde ich gerne zu der Art und Weise zurückkehren, wie ich meine tiefe Liebe zur Musik entdeckt habe: Rhythm’n’Blues. Ein Traum wäre für mich, ein Album in Chicago aufzunehmen, mit Klavier, Bläsern und einer rockigen Rhythmusgruppe. Und dann mit dieser Besetzung durch die Welt zu touren“, sagt die Musikerin über ihre Pläne. So sehr sie es auch liebe, Solo-Auftritte zu spielen, wolle sie in einem Jahr die Bühne mit Musikerfreunden teilen – und schränkt gleichzeitig ein: „Vielleicht nicht einmal mit einer Gitarre in der Hand, sondern tanzend und ein Tamburin schüttelnd.“