Palitzsch

See you, see me.

Eine Nacht mit Miles Davis

Für Tonmeister Carlos Albrecht war es „eine der größten Geschichten meines Lebens“ und für den Jazzmusiker Hans Kumpf ist es immer noch ein prägendes Erlebnis. Die Nacht mit Jazz-Superstar Miles Davis im Ludwigsburger Tonstudio Bauer.

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Miles Davis, 1987.

Nachtsessions gibt es im Ludwigsburger Tonstudio Bauer nicht mehr, sagt Geschäftsführerin Eva Bauer-Oppelland. Heute kommen die Künstler tagsüber, gleichwohl stehe das Team bereit, „wenn es was gibt“.
1991, vor 25 Jahren, gab es dann doch etwas zu tun. Gordon Melzer, Manager des Ausnahme-Trompeters Miles Davis, musste für den „Schwarzen Prinzen“ ein Tonstudio finden, in dem schnell ein paar Takes aufgenommen werden konnten. Fündig wurde man in den Tonstudios an der Markgröninger Straße in Ludwigsburg.
Die Truppe um Miles Davis buchte das Studio für gut zehn Stunden, nachts waren Kapazitäten noch frei. Die Einspielung erfolgte praktisch „by the way“ zwischen einem Konzert in Köln und dem zweiten Aalener Jazzfest, wo Miles Davis der Headliner war.
Für den damaligen Bauer-Tonmeister Carlos Albrecht, seit 2009 Präsident des Verbandes Deutscher Tonmeister, war diese Nacht mehr als ein Alltagsgeschäft. Zunächst sei er Fan von Louis Armstrong gewesen, aber nachdem er Miles Davis‘ „Porgy and Bess“ aus dem Jahre 1959 gehört habe, sei der Jazz-Trompeter für ihn die Nummer Eins gewesen.

Die Zeit vor Mitternacht war mit endlosem Warten ausgefüllt, erinnert sich Hans Kumpf. Der Jazzmusiker, Journalist und Fotograf lebte lange Zeit in Murr. Der Beginn der zehnstündigen Studioarbeit war auf 15 Uhr angesetzt, um 17 Uhr war immer noch kein Miles Davis da. Anders seine Mitmusiker. Angemeldet hatten sich Kenny Garrett (Saxophon), Deron Johnson (Keyboard), Foley McCreary (Leadbass), Richard Patterson (Bass) und Schlagzeuger Ricky Wellman. Vor allem Kenny Garrett war eng mit Miles Davis, dem ständigen Erneuerer des Jazz, verbunden. 1989 und 1990 erschienenen die Alben „Amandla“ und „Dingo“, die er mit Miles Davis einspielte.
Tonmeister Carlos Albrecht machte in den Bauer Studios mit den Musikern zunächst einen Sound-Check, über den sich alle zufrieden zeigten. Es sei eine lockere Atmosphäre gewesen und viel gelacht worden. Gegen 20 Uhr gab es immer noch kein Zeichen von Miles Davis, und so ging es zunächst einmal zum Essen.
Die Strecke von Köln nach Ludwigsburg legte der Superstar standesgemäß in einem Rolls-Royce, Silver Shadow, Baujahr 1968 zurück. Als dieser schließlich gegen 22 Uhr am 27. März vor dem gläsernen Eingang parkte und Miles Davis im Studio verschwunden war, drückte Kumpf auf den Auslöser einer seiner sieben Kameras, „die ich im Anschlag hatte“. Es sollte das einzige Foto bleiben, das heute im Kumpf-Archiv schlummert, Miles Davis selbst verbat sich Fotoaufnahmen in den Bauer-Studios.
Für den introvertierten Trompeter hatte man extra ein Sofa hergerichtet, von dem er durch die Scheibe ins Aufnahmestudio sehen konnte. Gereicht wurden Miles Davis seine Trompete und eine Tasse Tee, so Carlos Albrecht.

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Tonmeister Carlos Albrecht.

Hans Kumpf konnte währenddessen seine Kameras unverrichteter Dinge wieder einpacken und wurde mit anderen Gästen in ein kleineres Studio geführt, wo man die Einspielungen mithören konnte. Alles Unnötige sollte von dem labilen Superstar ferngehalten werden. Der damals 64-Jährige hatte nicht nur mit einem schweren Hüftleiden zu kämpfen, sondern war durch die jahrelangen Tourneen auch psychisch angeschlagen. Nach der Session in Ludwigsburg meinten junge Angestellte gar, der Musiker sei „scheintot“ gewesen, beschrieb Kumpf die Szenerie.
Nach der ersten Aufnahme war Miles Davis jedoch guter Dinge und krächzte den Satz „The sound is beautiful“ in den Raum – und die zuvor etwas angespannte Stimmung lockerte sich, so Kumpf. In rund 60 Minuten spielte Miles Davis mit seiner Band drei Takes von „Penetration“ mit Garrett am Saxophon, fünf Takes von „Jailbait“ mit Garrett am Alt-Saxophon und nochmals zwei Takes von „A Girl and her Puppy“ mit Garrett am Sopransaxophon ein. Tonmeister Carlos Albrecht beschreibt Miles als „sehr schmalen Mann“, fast transparent. Beim Händedruck sei die Hand des Trompeters sehr kalt gewesen. Bei den Aufnahmen gab Miles Davis damals den Ton an, und nur er. Die anderen hatten sich ihm unterzuordnen, er legte Tempo und Arrangement vor. Miles Davis habe sich bei den Aufnahmen zum Teil völlig verausgabt, so Hans Kumpf. Als Tonmeister Carlos Albrecht morgens um fünf Uhr die Frage stellt, wo der Trompeter sei, bekam er von den Musikern zur Antwort, dieser sei ins Hotel zurückgekehrt.

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Hans Kumpf.

Insgesamt wurden in Ludwigsburg 80 Minuten Sound eingespielt und die Bandspule dann dem Manager mitgegeben. Ein durchaus üblicher Vorgang. Über die Nacht von Miles Davis in Ludwigsburg gibt es zumindest in den Bauer-Studios nichts mehr zu finden, so Eva Bauer-Oppelland.
Die nächste Station nach Ludwigsburg waren die Aalener Jazztagen. Dort trat Miles Davis mit seiner Band auf, weitere Gäste waren die Ed Mann Group, Uli Keuler, das Aladar Pege Quartett, die Mike Stern/ Bob Berg Band und Joachim Kühn Solo. Einen großen Auftritt hatte Miles Davis dann noch beim Montreux Jazz Festival 1991. Dort wurde mit Dirigent Quincy Jones und Altsaxophon Kenny Garrett das Album „Miles & Quincy Live at Montreux“ eingespielt, das 1994 mit einem Grammy ausgezeichnet wurde.

Ob die Ludwigsburger Aufnahmen vom 27. März 1991 je auf Platte gepresst worden wären, bleibt offen. Miles Davis starb nur ein halbes Jahr später am 28. September 1991 in Santa Monica, Kalifornien. Er hinterließ ein musikalisches Universum. Eine LP mit dem Titel „Miles Davis, Recording in Ludwigsburg“ wäre zu schön gewesen, um wahr zu sein.

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 13. November 2016 von in Hirnfutter, Kurzgeschichten und getaggt mit , , , , .

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