Eine Besprechung:
In Cambridge Springs trafen 1904 amerikanische Schachmeister, darunter Harry Pillsbury und Frank Marshall, auf ihre europäischen Kontrahenten wie Emanuel Lasker und Jacques Mieses. In seinem Buch „Cambridge Springs 1904, Irgendwo im Nirgendwo…“ (Edition Marco, 236 Seiten, zahlreiche Abbildungen und Diagramme, gebunden, 39 Euro) lässt Autor Michael Dombrowsky dieses Turnier mit vielen Geschichten wieder aufleben.
Dabei geht es auf über 200 Seiten nicht allein um Partien, Notationen, Siege und Niederlagen. Das Turnier in der aufstrebenden amerikanischen Kleinstadt wird von Dombrowsky in einen historischen Kontext gestellt, zeigt Beziehungen auf und endet mit einer aktuellen Bestandsaufnahme. Streckenweise liest sich das Buch wie ein spannender Abenteuerroman, es ist auch ein Abbild der Schachgesellschaft zur Jahrhundertwende und zugleich chronologische Erzählung.
Dabei war es Zufall, dass Autor Dombrowsky überhaupt auf diese Geschichte gestoßen ist, wie er in seinem Vorwort schreibt. Im „Hamburger Fremdenblatt“ fand er einen Beitrag über das Turnier im Ballsaal des Luxushotels Rider in Cambridge Springs, Ansporn sich näher darüber zu informieren. Es gibt nur ein Turnierbuch aus dem Jahre 1935, Dombrowsky erkannte die Faszination hinter den trockenen Daten. Cambridge Springs bedeutete nicht nur Marshalls Eintritt in die Weltklasse, nach langer Abstinenz wagte sich auch Lasker wieder ans Schachbrett. Und es war ein Abgesang auf Pillsbury, der nach seinem Triumph in Hastings 1895 und elf weiteren Weltklasseturnieren in Cambridge Springs sein schlechtestes und letztes Turnier spielte. „Die Neugier war geweckt“, schreibt Dombrowsky – welch ein Glück für den Leser.
Im Vorfeld des Turniers war Jacques Mieses schon 1903 aktiv, er folgte einer Einladung amerikanischer Vereine zu Simultanveranstaltungen. Nach einem erfolgreichen kleinen Turnier in Boston, Blind-Simultanvorstellungen und einem Vergleichskampf führte er Gespräche mit Hartwig Cassel und Hermann Helms, die erfolgreichsten Organisatoren von Turnieren in den USA. Es gab jedoch Probleme mit der Besetzung des Turnier in Cambridge Springs, an denen der Autor den Leser hautnah teilnehmen lässt. Als beste acht Europäer waren Laser, Tarrasch, Maróczy, Janowski, Schlechter, Tschigorin, Burn und Teichman gesetzt. Nur: Tarrasch und Burn sagten ab – und wurden durch Marco und Lawrence ersetzt. Maróczys Absage folgte ebenfalls, für ihn sprang schließlich Mieses ein.
Ausführlich werden in dem Buch die Macher des Turniers vorgestellt und ein Blick auf den wundersamen Aufstieg von Cambridge Springs mit seinen prächtigen Bauten geworfen. Die Atlantikfahrt der Meister von Hamburg nach New York auf dem Dampfer „Pretoria“ schlug sich in Briefen und einem langen Zeitungsartikel nieder, in dem man sich Gedanken darüber machte, wie diese „verkörperten Rechenmaschinen“ eigentlich beschaffen seien. Vor allem Teichmann würde unablässig vor sich hinsingen und hinbrummen.
Am 22. April fuhr der Zug mit den Schachmeistern in Cambridge Springs ein. Eine Blaskapelle der Schüler und viele Bewohner des Kurortes säumten die Straßen, als sich der Konvoi mit den schicken Autos in Richtung Hotel Rider in Bewegung setzte. Auch für diese Beschreibungen konnte Dombrowsky auf historische Quellen zurückgreifen.
Nach der Vorstellung aller Teilnehmer, auf amerikanischer Seite waren dies neben Marshall, der das Turnier gewann, Showalter, Pillybury, Fox, Napier, Barry, Hodges und Delmar, werden dem Leser alle 15 Runden auf 160 Seiten mit 248 Diagramme näher gebracht. Ebenso gibt es eine ausführliche Kommentierung der Partien. Kommentatoren sind unter anderem Hübner, Tarrasch und Lasker, was das Nachspielen der Partien einen besonderen Reiz verleiht.
Das Ende des Turniers ist für Dombrowsky jedoch nicht das Ende seines Buches. Nach dem Turnier begann die Bewertung. Zeitungen in Nordamerika aber auch in den Blättern in Europa waren viel Lob und Anerkennung zu finden. Zitiert wird unter anderem aus der Bohemia aus Prag, den Leipziger Neuesten Nachrichten und aus den Hamburger Nachrichten. Das British Chess Magazine bejubelte Turniergewinner Frank Marshall und titelte: „Der Adler von Brooklyn in Cambridge Springs“. Zur Ergänzung gibt es Anmerkungen des Autors darüber, was die anderen Meister nach dem Turnier machten. Lasker wollte eine Schachzeitung herausbringen, die erste Ausgabe erschien im November 1904. Interessant ist auch der Blick auf das heutige Cambridge Springs, der Autor war dazu vor Ort. Auf dem Grund des einstigen Hotels Rider steht heute ein Frauengefängnis.
Fazit: Michael Dombrowsky hat es geschafft, dem Turnier in Cambridge Springs, diesem Irgendwo im Nirgendwo, auf halbem Wege zwischen New York und Chicago, neuen Glanz zu verleihen. Ein bemerkenswertes Buch, an dem nicht nur die Liebhaber des Königlichen Spiels viel Spaß haben, sondern auch Leser, die sich für fundierte historische Schachgeschichten interessieren.