Die Ermordung des ehemaligen Schultheißen von Bönnigheim, Johann Heinrich Rieber, ist einer der spektakulärsten Kriminalfälle aus Württemberg.
Der 21. Oktober 1835 war ein Mittwoch. Tagsüber gab es in Bönnigheim eine Beerdigung, an der auch Schultheiß Johann Heinrich Rieber, geboren 1794, teilnahm. Anschließend zog es ihn ins Gasthaus „Waldhorn“ neben dem alten Rathaus. Das Gasthaus verließ er gegen 21.45 Uhr, Rieber machte sich auf den Nachhauseweg zum Kavaliersbau.
Der Bönnigheimer Schultheiß wurde 1835 vor der Tür zu seiner Wohnung erschossen.
Sein Mörder, der zu diesem Zeitpunkt 30 Jahre alte Gottlob Rüb, wartete schon mit einer Schusswaffe „mit langem Lauf“. Aus dieser Waffe, so die späteren Ermittlungen, wurde Vogelschrot und „Rehposten“, damals die stärkste Schrotsorte, abgefeuert. Rieber trafen insgesamt zehn Kugeln, eine davon durchschlug seinen Körper. Noch eilte Stadtarzt Dr. Andreas Nellmann herbei, der ebenfalls im Kalvaliersbau wohnte, doch der Bönnigheimer Schultheiß starb zwei Tage später. Der Meuchelmörder Gottlob Rüb konnte entkommen, habhafte Zeugen gab es nicht.
Überarbeitete Tatortskizze aus der Ermittlungsakte, Staatsarchiv Ludwigsburg, E 319 Bü 146. (Die feineren Markierungen des Ermittlers, die den Fluchtweg des Täters und Positionen der einzelnen Personen zeigen, hat die Autorin verstärkt.) Der vierzakige rote Stern bezeichnet Riebers Standort, als er angeschossen wurde, der fünfzackige gelbe den ungefähren Standort des Zeugens und der sechszackige blaue stellt den Ort dar, von wo aus der Täter schoss. Die schwarze Linie zeigt den Fluchtweg des Täters.
Es ist eine kurze, spannende und vor allem ungewöhnliche Mordgeschichte, die die ehemalige US-Staatsanwältin Ann Marie Ackermann für die Ganerbenblätter der historischen Gesellschaft von Bönnigheim aufgeschrieben hat (37. Jahrgang 2014). Eine Geschichte, in der Enttäuschung, Mord, Totschlag und Heldentum dicht beieinander liegen und trotzdem 37 Jahre voneinander getrennt sind.
So war der Bönnigheimer Mörder Rüb einer jener Männer, die ein unstetes Leben führten. Er musste sich wegen „gefährlicher Verwundung“ eines Mannes vor dem Kriminalsenat verantworten, wurde aber freigesprochen. Rüb hatte Schulden, für die sein Vater nicht mehr aufkommen wollte.
Als Rettung sah er, zwei Wochen vor dem Mord, deshalb seine Bewerbung als Waldschütz beim Bönnigheimer Forstamt an. Nur: Er bekam die Stelle nicht, Rüb machte dafür den Bönnigheimer Schultheißen verantwortlich. Denn der habe ihm einen schlechten Leumund bescheinigt. Dies war wahrscheinlich das Motiv für den Mord.
Der Meuchelmörder, und die Autorin erzählt die Geschichte akribisch weiter, floh kurz nach seiner Tat 1836 nach Amerika, um in Philadelphia zunächst als Bäcker zu arbeiten. 1846 trat Gottlob Rüb in eine deutsche Kompanie des 1. Regiments der Pennsylvania Freiwilligen ein. Dieses Regiment beteiligte sich im März 1847 an der Belagerung der mexikanischen Hafenstadt Veracruz. Eine dortige Marinebatterie der US-Kriegsflotte stand unter der Führung von Hauptmann Robert E. Lee. Ein bis heute verehrter amerikanischer Held, der mit Georg Washington und Abraham Lincoln verglichen wird, und der auf dem 1970 fertig gestellten größten Flachrelief der Welt am Stone Mountain zu sehen ist.
In Mexiko kreuzten sich so die Spuren des Bürgerkriegshelden Lee und des Bönnigheimer Mörders Rüb. Die Kommandos zur Belagerung von Veracruz waren gemischt. In Lees Batterie waren sieben Matrosen und ein Infanterist verzeichnet – Gottlob Rüb. Am 25. März 1847 explodierte eine Artilleriegranate, die ihn auf der Stelle tötete, er war somit der erste Fußsoldat, der unter Lee fiel. Wie sein Mordopfer in Bönnigheim, starb auch Rüb unverheiratet und kinderlos.
Vermutliches Grab des württembergischen Soldaten Gottlob Rüb in Mexiko-Stadt. Im Jahre 1851 sammelte die USA die Gebeine der Gefallenen in Mexiko und beerdigte sie in einem Massengrab in Mexiko-Stadt. Foto: American Battle Monuments Commission.
Die Ikone Robert E. Lee zeigte im Nachhinein große Bewunderung für die Leiden seiner Kämpfer aus der Batterie. Als einer seiner Männer von einer Granate getroffen worden sei und starb, sei dieser Mann „ganz Mexiko wert“ gewesen. Ob er Rüb meinte, ist nicht bekannt. Aber: „Sie starben alle wie mutige Männer, ohne Murren oder Stöhnen von irgendeinem von ihnen“, schrieb Lee später.
Der Mordfall von Bönnigheim wurde erst im Jahre 1872 aufgelöst. In Washington D.C. war bei einer Gesellschaft auch die Rede von Rüb und seiner Tat. In Washington dabei war auch der aus Bönnigheim ausgewanderte Friedrich Rupp, der der Staatsanwaltschaft Heilbronn Hinweise gab. Die rollte die Ermittlungen neu auf und bekam ausreichende Beweise geliefert. Im August 1872 wurden diese Ermittlungen schließlich eingestellt, „durch beruhend Erklären“.
Die Autorin Ann Marie Ackermann hat für die Ganerbenblätter aus über 40 Quellen geschöpft und eine straffe Fallgeschichte geschrieben, die einen unbequemen Teil der Bönnigheimer Historie beleuchtet – und den Bogen bis in die heutige Zeit schlägt.
So merkt die Autorin an, dass bis heute noch eine Belohnung in Höhe von 200 Gulden offen ist und in den USA noch ein Nachkomme Rübs lebe. Es sei daher zu überlegen, dieser Person die Belohnung, kurz nach dem Mord an Rieber 1835 von der Bönnigheimer Verwaltung für die Aufklärung des Mordes ausgeschrieben, auszubezahlen. „Damit hätte diese außergewöhnliche Geschichte ihren Platz in den Geschichtsbüchern beider Staaten“.
Toll geschrieben!
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