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Islam: Welt im Zerfall

Der Korrespondent Martin Gehlen ist ein profunder Kenner der Krisengebiete im Nahen und Mittleren Osten. Beim 97. Bietigheimer Tag, einer Traditionsveranstaltung zwischen der SPD und der evangelischen Kirche, sprach Gehlen über den Zerfall der arabischen Welt.

Frieden schaffen mit/ohne Waffen“ lautete das Motto des Bietigheimer Tages 2015. Zur Auftaktveranstaltung über die Arbeit eines Journalisten in Krisengebieten waren Nahost-Korrespondent Martin Gehlen und seine Frau, die Fotografin Katharina Eglau, nach Bietigheim-Bissingen gekommen. Sie hatten wenig Positives zu berichten. Gehlen schilderte zum Auftakt Eindrücke aus seinem Wohnort Kairo von Mitte des Jahres 2013, sechs Wochen nach dem Sturz von Präsident Mohammed Mursi: Bürgerwehren in den Straßen, gefesselte junge Leute, Soldaten und immer wieder Schüsse in der Nacht. Bis heute habe sich das Land nicht erholt. Gehlen nannte die Gründe. Die Aufbruchstimmung des „Ägyptischen Frühlings“ auf dem Tahrir-Platz, 2011 Zentrum der regimekritischen Bewegung gegen Präsident Mubarak, sei durch bloßen Machteifer und überhitztes Denken ersetzt worden. Es gibt keinen Platz mehr für Demokratie und viele junge Leute tauchen in extremistische Kreise ab“, so Gehlen. Machteifer und fanatischer Extremismus breiteten sich wie ein schnell wucherndes Krebsgeschwür in der arabischen Welt aus, die Gehlen nach den Jahren des Aufbruchs inzwischen in einer Phase der autoritären Restauration und eskalierenden Gewalt verortet. Allein in Syrien seien 50 Prozent der Bevölkerung auf der Flucht, jeden Tag würden 150 Menschen zu Tode gefoltert. Libyen, Algerien, Saudi-Arabien, der Jemen aber auch Tunesien seien nicht mehr zugänglich oder der Besuch sei lebensgefährlich.

Der arabische Frühling klinge aus fernen Tagen nach, jetzt finde eine harte Zäsur, eine „kulturpolitische und religiöse Kernschmelze“, statt. Mit der Barbarei des selbst ernannten Islamischen Staates (IS) schlage die „Stunde der Wahrheit“ für die islamistischen Länder. Als Beispiele nannte Gehlen die Verwüstung des Museums im irakischen Mossul, die Zerstörung des Mausoleums des Propheten Jonas und der Roten Moschee sowie die Sprengung der Bibliothek, bei der 8000 Bücher verbrannten. Erst jüngst haben IS-Kämpfer auch die altorientalische Metropole Nimrud im Irak zerstört. Und da sich der Staatenbund in der islamischen Welt in Auflösung befinde und es keine starken Zivilgesellschaften mehr gebe, werde der Gewalt wenig entgegensetzt, so Gehlen in seiner Analyse. Der IS radikalisiere lediglich islamische Inhalte und predige die Apokalypse. Eine Ideologie, der jedoch immer mehr junge Menschen folgen würden. Wie die islamische Religion allerdings Auspeitschen, Frauen missachten und vergewaltigen, das Köpfen von Gefangenen mit der Toleranz gegenüber Andersgläubigen vereinbare, erschließe sich nicht. Diese „Unschärfe“ zwischen einer normalen und radikal umgesetzten Religion führe letztendlich zu einer Erosion des ganzen islamischen Fundaments, so die Bilanz des BZ-Korrespondenten.

Im Anschluss zeigte Gehlens Ehefrau Katharina Eglau Aufnahmen von Kulturstätten und religiösen Festen aus dem Jemen, Irak, Saudi-Arabien, Syrien, Libyen und Marokko. Es war ein bewusster Kontrast zu den Berichten von Terror und Barberei. Zu sehen waren auch Fotos von einem Fest im syrischen Aleppo, einer Stadt, die inzwischen in Schutt und Asche liegt. Mit einem Beispiel aus Ägypten erklärte Martin Gehlen in der Fragerunde, warum es im Nahen Osten zu immer größeren Spannungen kommt. Dort wachse die Bevölkerung jährlich um zwei Millionen Menschen, jedes Jahr gebe es 800 000 Schulabgänger, die auf den Arbeitsmarkt drängten. Nötig seinen deshalb bis zu acht Prozent Wirtschaftswachstum, derzeit seien es zwei Prozent. Ein weiteres Thema der Fragerunde war der IS. Dessen Anspruch, die Erde von Ungläubigen zu reinigen, sei Antriebsfeder für viele junge Leute, die nur noch „schwer einzufangen“ seien. Militärisch werde der IS damit fortfahren, Städte und Landschaften zu verwüsten. Seine Finanzierung erfolge unter anderem über die Plünderung antiker Stätten in den umkämpften arabischen Ländern. Und manche dieser geraubten Kulturgüter landen auch in Auktionshäusern in Deutschland. Gehlen schloss auch nicht aus, dass Flüchtlinge, die über das Mittelmeer nach Italien kommen, vom IS instrumentalisiert werden. Und hier als Ergänzung zehn Thesen gegen den Hass.

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 11. März 2015 von in Medien und getaggt mit , , , .

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