Alternative Meinungsvielfalt (von links oben): Nr. 71 des Ludwigsburger Stadtblattes vom Oktober 1987 zur Deutsch-Französischen Zärtlichkeit, die Bietigheimer StadtBlättle zum Busverkehr (Mai 1986) und einem Titelbild vom Februar 1987 zum Bürgerbegehren gegen das Ku(h)riosum – auf dem Kunstwerk reitet Manfred List, auf ihm Michael Jacobi. Unten links Zwei Ausgaben, ein Thema (Volkszählung) im März 1987 und eine kostenlose Sonderausgabe Asyl vom September 1986.
Warum die neue Zeitung? In einem Erklärstück wurde den Lesern im März 1984 in Bietigheim-Bissingen erklärt, man wolle den Versuch starten wagen, eine Gegenpresse zur Bietigheimer Zeitung aufzubauen. Man wolle zu einem Sprachrohr für Interessen werden, die zu oberflächlich, verkürzt, verfälschend oder gar nicht berichtet werde. Verstärkt solle der Fokus auf Kommunalpolitik, Umweltschutz, Friedensarbeit und Selbsthilfegruppen gelegt werden. Im Impressum standen standen Namen wie Hartmut Bernecker, Michael Jacobi und Robert Würth.
Die Grünen waren im Januar 1980 gegründet worden, den Einzug in den Bundestag gelang ihnen bei der Bundestagswahl 1983. So stand auch das StadtBlättle links und widmete sich Themen wie Arbeitslosigkeit, Volksbegehren, Zivilschutz und Atomkraft.
Einer der fleißigsten Autoren war Michael Jacobi. 1984 für die GAL in den Bietigheimer Stadtrat gewählt, vertrat er von 1988 bis 2001 den Wahlkreis Bietigheim im Stuttgarter Landtag. Dort war er neun Jahre stellvertretender Fraktionsvorsitzender und fünf Jahre Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion. Im Oktober 2007 trat Jacobi zur CDU über, ein Schritt, den seine Frau Heike Dederer schon 2005 vollzogen hatte.
Schon im Oktober 1987 schrieb Jacobi über das Wechselspiel der Parteien – und wechselnde Mehrheiten auf kommunaler Ebene. „Im rot-grünen Freiburg machen die Grünen zusammen mit der CDU gegen die SPD Kulturpolitik. Punktuelle Zusammenarbeit … kommt zustande, wenn etwas Vernünftiges vorgeschlagen wird“, heißt es unter der Überschrift „CDU mit grünen Ideen“.
Zu diesem Zeitpunkt hatte sich das StadtBlättle aus Bietigheim-Bissingen schon dem großen Format des Ludwigsburger Stadtblattes angeglichen, die Hochzeit der beiden alternativen „Mediengiganten“ war im März 1986 erfolgt. Beide Blätter bildeten ab diesem Zeitpunkt eine organisatorische und wirtschaftliche Einheit. Beide Blätter schienen weiterhin unter ihrem Namen, wobei auch das Titelbild nicht immer identisch war. Auch inhaltlich gab es Unterschiede: Jedes der beiden Blätter hatte einen bis zu fünf Seiten umfassenden eigenen „Lokateil“.
Anstoß für das gemeinsame Vorgehen waren die personellen Schwierigkeiten des kleineren Partners aus Bietigheim, die ein selbstständiges Erscheinen unmöglich machte. Und es gab Hoffnung: Eine Auflagensteigerung, bedingt durch den Zusammenschluss, könne, wenn die alten Leser beider Zeitungen bei der Stange bleiben würden, zu einer wirtschaftlich besseren Situation führen. Was sich natürlich auf Inhalt und Aufmachung niederschlagen werde.
Nur ein Jahr später strich der kleinere Partner im März 1987 die Segel. Die Nummer 27 des StadtBlättle aus Bietigheim-Bissingen war die letzte Ausgabe aus der Stadt an Enz und Metter, während das Heft des Ludwigsburger Stadtblattes schon die Nummer 65 erreicht hatte. Ein typisches mediales Gemeinschaftsprodukt mit den gleichen Titelbildern zum Thema Volkszählung. Robert Würth (Kürzel: abi) erklärte dem Leser die missliche Lage. Die Zusammenarbeit mit den Ludwigsburgern hätte gut geklappt, Ursache für die Einstellung sei der Substanzverlust in Bietigheim-Bissingen. Die Verkaufszahlen tendierten unter der 200-Marke, die Miarbeiter ließen sich eher an einem Finger als an einer Hand abzählen. Was fehlte, war nach Ansicht Würths eine effektive Verkaufsstrategie und mehr Mitarbeiter. Auch ihm stelle sich die Frage nach Aufwand und Ertrag, deshalb traf abi die einsame Entscheidung, den Stadtblatt-Anteil aus Bietigheim-Bissingen einzustellen.
Im Dezember 1988 erschien das letzte „Ludwigsburger Stadtblatt“. Bei der Produktion im DemoZ flossen Tränen, und irgend jemand spielte ständig Joan Armatradings „Talking about a revolution“.
Der größere Partner hielt noch 21 Monate länger durch. Im Dezember 1988 zierte die Nummer 84 des Ludwigsburger Stadtblattes mit dem kleinen Einklinker Bietigheim-Bissinger StadtBlättle zwei Worte auf lila Grund „das letzte.“ Die Mannschaft, die sich sich einst um den Journalisten Edgar Buck geschart hatte, war am Ende und ausgelaugt. Stets sah man sich an der Produktionsstätte im Demokratischen Zentrum als Alternative zur Ludwigsburger Kreiszeitung. So flossen beim letzten Layout für die Nummer 88 im DemoZ die Tränen.
Wirtschaftlich rechnete sich das Stadtblatt nie. Die Auflage lag zwischen 400 und 800 Exemplaren pro Monat selbst zu Glanzzeiten wurden 1000 Exemplare nicht erreicht. Der Verkaufspreis lag bei 2,50 DM. Beklagt wurde, wie zuvor in Bietigheim-Bissingen, dass das Blatt von immer weniger Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gestemmt werden konnte. Am Ende dieser tränenreichen Ausgabe, gespickt mit Artikel über das Nato-Depot in Sachsenheim, den Niedergang des Scala, die Volkszählung und die Ausstellung über Siegfried Kracauer im Marbacher Schillernationalmuseum, stand „Tschüß – Eure Red.: chris, sabA, Germaine, b.m.. abi, Jopa, Elke, Walle, Manne und alex.
In der letzten Ausgabe des Ludwigsburger Stadtblattes wurde der Blick auf ein Kreismagazin auf Profibasis gerichtet, welches allerdings nicht vor herbst 1989 zu erwarten sei. Tatsächlich sollte ein Gratis-Magazin mit dem Titel „Kultur regional“ erst im Dezember 1992 das Licht des alternativen Zeitungsmarktes in Landkreis Ludwigsburg erblicken. Initiator war der Verleger und Musiker Ludwig Stark aus Erdmannhausen, der auch schon das Stadtblatt gedruckt hatte. Kultur regional verstand sich als Veranstaltungsmagazin mit einem Monatskalender, dazu gab es Platten- und Buchkritiken. In der ersten Nummer gab es ein Interview mit Pur-Sänger Hartmut Engler.
Obwohl Kultur regional mit Anzeigen gut bestückt war, konnte sich das monatliche Magazin nicht halten – und verschwand ebenfalls vom Markt. So erschien etwa im Juni 1993 gar kein Heft, weil der Verleger eine Erkältung hatte. Und im Juli erschien eine Doppelnummer, mit dem Kulturprogramm bis Ende August – immerhin.
Die alternative Presse im Landkreis Ludwigsburg war immer abhängig von Geld, Auflagenzahlen und Anzeigen – wie die Profipresse auch. Vor allem aber waren es Individualisten, die ihre Freizeit opferten, um Zeitung zu machen. Dies ging allerdings nur bis zu einem bestimmten Punkt. Spätestens als man erkannte, das Selbstausbeutung in Selbstbetrug mündete, war das Ende unabwendbar. Da nutzten auch die Appelle zum Erhalt der Meinungsvielfalt und der Aufruf, der etablierten Tagespresse etwas entgegenzusetzen, nichts mehr.
Der Autor Jörg Palitzsch war selbst Mitarbeiter des StadtBlättle aus Bietigheim-Bissingen und des Ludwigsburger Stadtblattes. Regelmäßig wurden von ihm unter anderem eine Kulturseite für beide Ausgaben produziert. Von 1985 bis 1990 brachte Palitzsch in Ingersheim die SPD-Ortsvereinszeitung „Vietele“ heraus, die sich mit kommunalpolitischen Themen beschäftigte. Weitere Stationen des Autors: Mitarbeiter bei Kultur Regional, beim Hamburger Musikmagazin Zsounds, bei Stuttgart Live, Lift, Vorwärts, Südkurier, Sonntag Aktuell, LKZ, Marbacher Zeitung und Kornwestheimen Zeitung, als diese Zeitungen noch eigenständig waren, und Leonberger Kreiszeitung. Seit 1992 ist Palitzsch Redakteur bei der Bietigheimer Zeitung und dort Chef vom Dienst.
Danke, dass Du das Stadtblattso gut zusammen gefasst hast, lieber Jörg.
Sag mal, wollen wir im Rentenalter nicht noch mal angreifen mit einer „Gegenpresse“ so einfach aus Lust und ohne Zeitdruck.
Redakteure gibt´s genug.
Grüsse
Martin Zahn
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