Die Fälschung, die Max Pechstein gemalt haben soll.
Die Verurteilung des Kunstfälschers Wolfgang Beltracchi und die Enthüllungen zeigen Spuren, die auch in die Städtische Galerie nach Bietigheim-Bissingen führen. 2002 wurde dem Publikum in einer Sommerausstellung ein von Beltracchi gefälschtes Bild als Kunstwerk von Max Pechstein gezeigt.
Die Bilderschau mit rund 175 Werken des Expressionisten Max Pechstein in der Städtischen Galerie von Bietigheim-Bissingen war ein Erfolg. Ende August 2002, zwei Wochen vor Ausstellungsende, zog der damalige Galerieleiter Dr. Herbert Eichhorn eine überaus positive Bilanz. Seit Ausstellungsbeginn Anfang Juli hatten die Pechstein-Werke 12.000 Besucher gesehen. Bis Mitte September stieg diese Zahl zum Ende der Werkschau hin mit der 15.000.
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Max Pechstein.
Besucherin Heike Schluckwerder noch weiter an. Oberbürgermeister Manfred List und Eichhorn überreichten der Stuttgarterin ein Geschenk, die Pechstein-Ausstellung werde als eine der erfolgreichsten in die Annalen der Galerie eingehen, hieß es flankierend in einer Pressemitteilung aus dem Bietigheimer Rathaus. Was alle Beteiligten nicht wussten: In der Ausstellung war ein Pechstein-Gemälde mit dem Titel „Seine mit Brücke und Frachtkähnen“ zu sehen, das allerdings aus der Fälscherwerkstatt des Malers Wolfgang Beltracchi stammte. Schon in den 1980er-Jahren hat Beltracchi Pechsteins norddeutsche Landschaften gemalt, 1991 sei ihm im Amsterdamer Van-Gogh-Museum dessen Gemälde „Seine-Brücke mit kleinem Dampfer“ aus dem Jahre 1908 aufgefallen, ist in Beltracchis Buch „Selbstportrait“ nachzulesen. Dem Beispiel Max Pechsteins folgend, der Tuschezeichnungen in diesen Jahren oft als Gemälde umsetzte, benutzte Beltracchi für die im Frühjahr 2001 entstandene Fälschung die Seine-Brücke als Vorlage, skizzierte mit wenigen Strichen die Unterzeichnung und setzte die Farbe „nass in nass auf“. Lang gezogene Pinselstriche zeigt träges Wasser, farbige Flächen deuten die Häuser an, kürzere Striche den Himmel. „Nach zwei Stunden war das Werk vollbracht“, so Beltracchi in seinen Erinnerungen.
Wolfgang Betracchi: In zwei Stunden war es vollbracht.
In monatlichen Kunstbetrachtungen, Texte, die von der Städtischen Galerie geliefert und Anfang der 2000er-Jahre noch in der Bietigheimer Zeitung veröffentlicht wurden, stand die Fälschung in der Ausgabe vom 3. August 2002 im Mittelpunkt. „Die weite leere Wasserfläche malte Pechstein mit breitem, schwingendem Pinselstrich“, hieß es über das 32,9 mal 46 Zentimeter große Ölgemälde dort. Und weiter: „Die Dynamik der Pinselführung und die von warmen Gelbtönen bestimmte Farbstimmung wären ohne das Vorbild Vincent van Goghs nicht denkbar“. Den falschen Pechstein in den Kunstbetrieb einzuschleusen, war Aufgabe von Beltracchis Frau Helene. Laut dem Autorenteam Stefan Koldehoff und Tobias Timm, die unter dem Titel „Falsche Bilder Echtes Geld“ beschrieben, wer alles am Fälschungscoup des Jahrhunderts verdiente, bot Helene Beltracchi das gefälschte Bild „Seine mit Brücke und Frachtkähnen“ dem Kölner Auktionshaus Lempertz am 7. April 2001 an. Neun Tage später wurde das Gemälde in Nizza übergeben. Fast gleichzeitig begann im Berliner Brücke-Museum am 9. März 2001 eine Ausstellung mit Werken von Max Pechstein, die nachfolgend in Schloss Gottorf in Schleswig-Holstein, dann im Von-der-Heydt-Museum in Wuppertal und schließlich, als letzte Station, in der Städtischen Galerie von Bietigheim-Bissingen zu sehen war. Die Beltracchi-Fälschung war, so Koldehoff und Timm, jedoch erst in Wuppertal und nachfolgend auch in Bietigheim-Bissingen ausgestellt. Das Kultur- und Sportamt der Stadt ließ zum regulären 260-seitigen Brücke-Katalog, in dem „Seine mit Brücke und Frachtkähnen“ nicht abgebildet war, einen weiteren Katalog mit 48 Seiten „Zusätzliche Leihgaben“ auflegen – darin die Fälschung an vorderster Stelle ganzseitig abgedruckt. Federführend für dieses „Katalogergänzungsheft“ mit seinen rund 35 Pechstein-Abbildungen waren damals in erster Linie Galerieleiter Eichhorn und seine Mitarbeiterin und heutige Galerieleiterin Dr. Isabell Schenk-Weininger. In einem Beitrag von Barbara Wörwag für den Bietigheimer Galerie-Katalog wurde das angebliche Pechstein-Bild hoch gelobt: „Die Spiegelung des gleißenden Sonnenlichts auf dem Wasser ist der besondere Eindruck, den Pechstein mit einer expressiven Farbsteigerung wiedergeben wollte“.
Ausstellung übernommen
„Sehr ungern“ spricht Isabell Schenk-Weininger heute über den Fall. Man habe allerdings nichts zu verbergen und ein eigener Ergänzungskatalog der Galerie für eine Ausstellung sei ein ganz normaler Vorgang. Zusätzliche Leihgaben, so die Galerieleiterin, würde man dem Publikum öfters in einem eigenen Katalog anbieten. Im Jahr 2002 habe man die Pechstein-Ausstellung von Wuppertal übernommen und praktisch mit den Leihgaben attraktiver gestaltet.
In einem der größten Kunstfälscher-Prozesse seit dem Zweiten Weltkrieg wurde Wolfgang Beltracchi Ende Oktober 2011 wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs zu sechs Jahren Haft verurteilt. Seine drei Mittäter, darunter seine Frau Helene, kamen zum Teil mit Bewährungsstrafen davon. Das Quartett gestand, jahrelang Meisterwerke bekannter Maler wie Max Pechstein und Max Ernst in den Kunstmarkt eingeschleust und dafür Millionenbeträge abkassiert zu haben. Die Staatsanwaltschaft schätzte die Gewinne auf 16 Millionen Euro. Das in Bietigheim-Bissingen ausgestellte und gefälschte Pechstein-Gemälde wurde durch drei Gutachten, darunter von der Kriminaltechnik des LKA Berlin, als Fälschung entlarvt. Im Februar 2014 wies das Brücke-Museum in Berlin darauf hin, dass die Ausstellungsstationen Wuppertal und Bietigheim-Bissingen ohne Rücksprache mit dem Brücke-Museum und im Widerspruch zu dem vom Museum erstellten offiziellen Ausstellungskatalog, ihre eigene Ausstellung vor Ort um weitere Werke, unter anderem um die Pechstein-Fälschung „Seine mit Brücke und Frachtkähnen“ des Kunstfälschers Beltracchi, erweitert hätten.
Galerieleiterin Isabel Schenk-Weinbinger: Ein Krimineller, kein Künstler.
Die Fälschung sei auf ausdrückliche Bitte des Inhabers des Kunsthauses Lempertz und Besitzer der Fälschung, Henrik Hanstein, auch in Bietigheim-Bissingen gezeigt worden, der damit wohl eigene Interessen zur Wertsteigerung verfolgt haben dürfte. Galerieleiterin Isabell Schenk-Weininger, die von den Ermittlern zu der Fälschung befragt wurde, hat sich ein Urteil über den Fälscher Betracchi gebildet. Dieser sei wohl doch in erster Linie ein Krimineller und kein Künstler.